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Interview zum Thema Freiheit
Leserbrief "Kinderbetreuung"


Interview im Falter:

Fragen und Antworten zur Freiheit
Wofür würde man ein Stück seiner Freiheit aufgeben? Wo liegen die Grenzen der Freiheit? Wir haben Menschen gefragt, die es wissen könnten.
Die Fragen stellten Georg Eckelsberger, Manuel Köllner, Valentin Ladstätter und Thomas Askan Viehrich

Die Beziehungsflickerin

Bindungstherapeutin Lin Burian über mentale Trägheit und die Tragik der Auge-um-Auge-Mentalität.

Der FalterWas sind aus Ihrer Persönlichen und beruflichen Sicht die Bedingungen für Freiheit?
Freiheit ist basal nur durch einen einzigen Umstand bedingt: Durch unser Menschsein selbst. Sie ist ein Wesensmerkmal des Menschen, ist uns immanent. Wir müssen und dürfen mit der Freiheit leben lernen. Wir haben Entscheidungen zu treffen und uns selbst zu bestimmen. Niemand nimmt uns ab, uns darauf zu besinnen, wer wir sein möchten, wie wir leben, was wir tun oder lassen wollen. Wir sind frei, weil wir Verantwortung tragen, Pflicht oder Schuld erkennen können, weil wir ein Gewissen haben, weil wir schöpferische Fähigkeiten besitzen und ja, weil wir in der Lage sind, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Ein Großteil meiner beruflichen Aufgabe besteht darin, suchende Menschen daran zu erinnern.

Und was sind die Grenzen der Freiheit?
Offensichtlich ist Freiheit niemals absolut, sondern immer geprägt: Durch physische und psychische Faktoren, durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie, Epoche, Kultur, Religion oder Gesellschaftsschicht. Keine Frage, dass ein Kind europäischer Herkunft grundlegend andere Voraussetzungen für die Entwicklung seiner Handlungsfreiheit vorfindet als ein Kind, das in der afrikanischen Dürrekatastrophe ums Überleben ringt. Dennoch sind wir durch all diese Faktoren nicht durchgängig determiniert.

Was stellt für Sie momentan die größte Bedrohung für unsere Freiheit in Österreich oder auch global dar?
Ich vermute, dem für unseren wohlgenährten und grosso modo satten Kulturkreis die größte Gefahr in mentaler Trägheit liegt. Wir weigern uns zunehmend, Standpunkte festzulegen, Urteile abzugeben und so etwas Antiquiertes wie Anstand einzufordern und uns damit der allgemeinen Kritik auszusetzen. Wer wagt es heute noch, über Gut und Böse zu entscheiden? Gar etwas als sündhaft zu bezeichnen? Sich selbst als Autorität zu verstehen und andere Autoritäten zu akzeptieren? Ist ja alles relativ und jedem das seine. Festlegung bedeutet auch immer Einschränkung - davor scheuen wir ängstlich zurück, so, als würden wir damit unsere Freiheit oder die Freiheit eines anderen beschneiden. Ein eindrückliches Beispiel verfehlten Freiheitsverständnisses hat sich uns jüngst in den Medien geboten: Mubarak nach dem Freiheitskampf „seines Volkes“ selbstinszeniert dahinschwächelnd im Käfigkrankenbett vor seinen Richtern. Gut, das Freiheitsstreben hat einen Sieg errungen. Wir freuen uns mit dem ägyptischen Volk. Doch wie sehr verursacht es mir Bauchgrimmen, dass muslimische Männer und Frauen nun mit dem Galgenstrick winken, Mubaraks Hinrichtung wünschen, Gleiches mit Gleichem heimzahlen wollen.

Was waren Ihre schönsten Momente der größten Freiheit? Wann haben Sie sich in Ihrem Leben am freiesten gefühlt?
In jenem Moment, als ich bereit war, meine Freiheit freiwillig einzuschränken: Bei meiner Eheschliessung, also beim unverbrüchlichen Ja zur lebenslangen Bindung und Zusammengehörigkeit. Mein Mann und ich haben die Freiheit der Entschiedenheit gewählt. Jetzt genießen wir Tag für Tag die Frucht unserer Einschränkung - in vollen Zügen.

Wofür würden Sie ein Stück Ihrer Freiheit aufgeben?
Prinzipiell halte ich menschliche Freiheit für unaufgebbar. Wir können uns nicht entscheiden, nicht frei zu sein. Wie der polnische Rabbiner Abraham Joshua Heschel sagte: „Wir mögen zwar frei sein, die Freiheit zu gebrauchen oder zu ignorieren; wir sind aber nicht frei, Freiheit zu haben. Wir sind frei, zwischen Gut und Böse zu wählen; wir sind aber nicht frei von der Wahl. Tatsächlich sind wir zum Wählen gezwungen."

Lin Burian, geb. 1964, 2 Söhne, eine Enkeltochter,
ist Gründerin und Geschäftsführerin der Praxis für Bindungstherapie, Cranio-Sacral-Ostheopatin (CSIR),
zertifizierte Festhaltetherapeutin (GFH),
Bindungstherapeutin (ABT) und
Gründungs- und Vorstandsmitglied der
Arbeitsgemeinschaft Bindungstherapie ABT e.V.



Leserbrief "Kinderbetreuung", Die Presse, 5. März 2007:

Was braucht der Mensch?

Mit einigem Erstaunen und Unwohlsein bis hin zum Entsetzen verfolge ich die heimische Berichterstattung zum Thema Kinderbetreuung. Ihnen herzlichen Dank für den Raum, den Sie großzügig für dieses komplexe Thema bereitstellen, ganz im Gegensatz zu so manch anderen heimischen "Qualitätsmedien".

Ihr Aufmacher vom 24.2.07 "Außerfamiliäre Betreuung stört Bindung an primäre Bezugsperson nicht" bietet allerdings eine zu simple Antwort auf eine komplizierte Frage, nämlich die nach den "eigentlichen" Bedürfnissen sowohl des Kindes als auch der Mutter (und des Vaters). So sehr ich den von Ihnen zitierten John Bolwby schätze, der wohl für die Bindungsberatung einen ähnlichen Stellenwert hat wie Freud für die Psychoanalyse, so sehr vermisse ich aktuelle Aussagen von zeitgenössischen Wissenschaftern von Weltruf (die u.a. unser Nachbarland Deutschland in reicher Zahl aufzuweisen hat). Wo lese ich z.B. von Grossmann, Papousek, Rudolf, Stauss, Brisch, wo höre ich von unserer erfahrenen Kinderärztin Marina Markovich?

In einem Land wie unserem, dessen heutige Mütter und Väter die Nachkommen einer Generation sind, die mit Krieg, Mord, Gewalt, Vertreibung, Opfer- und Täterschaft sowie weitreichender Leugnung derselben aufgewachsen ist, ist die Frage nach unserer Beziehungs- und Bindungsfähigkeit alles andere als Luxus. Subjektiv erfahrbare menschliche Qualitäten wie Einmaligkeit der Identität, Selbstbestimmung, Liebesfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und damit die Fähigkeit zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortlichkeit reifen aus Sicht der "Erfahrungsorientierten Bindungsberatung" (ABT e.V.) ausschließlich im Raum gesunder, sicherer Bindungen. Die daraus resultierende Zufriedenheit in "Liebe und Arbeit" (Freud) korreliert mit körperlicher und psychischer Gesundheit. Meines Wissens haben wir es derzeit mit einem Anteil von etwa 40 Prozent unsicher gebundener Erwachsener zu tun. Daher müsste meiner Meinung nach gemeinschaftlich(!) alles daran gesetzt werden, der Kindererziehung und damit dem Lebensraum Familie den ihr gebührenden Platz einzuräumen, sowohl auf gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher wie therapeutischer Ebene (siehe z.B. SAFE-Programm Münchner Kinderzentrum).

Ich vertrete den Standpunkt, dass das Thema Beziehungsfähigkeit und sinnstiftende Prägung von Menschen einen zu hohen Stellenwert hat, als dass wir uns leisten könnten, darüber auf mäßigem Niveau zu polemisieren.

Lin Burian
Praxis für Bindungstherapie
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